16. September 2022

Modellvorhaben bieten Chancen für Wundversorgung

Die Experten im BVMed-Gesprächsforum „Eine Stunde Wunde“ haben sich mit der Umsetzung des Pflegeberufegesetzes, interdisziplinären Teams und Modellvorhaben auseinandergesetzt.

Damit Pflege künftig mehr Verantwortung übernehmen und interdisziplinär in Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Leistungserbringern arbeiten kann, braucht es neben der strukturierten Qualifizierung einen rechtlichen Rahmen, um die Rollen in der Gesundheitsversorgung zu definieren. Das erklärt Annemarie Fajardo, Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats, in ihrem Vortrag beim BVMed-Gesprächsforum „Eine Stunde Wunde“ am 6. September 2022. Dabei sei insbesondere bei komplexen Fällen in der Wundversorgung eine interdisziplinäre Zusammenarbeit effektiv. Prof. Dr. med. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie des Städtischen Klinikums Karlsruhe, bestätigt: „Das ist das beste Vorgehen. Das zu etablieren, sehe ich als wichtige Aufgabe an“. Sonja Laag von der Barmer ist überzeugt: „In der Wundversorgung haben wir dafür eine gute Startposition. Denn in der pflegerischen Wundversorgung gibt es bereits Wundexperten, die für die Modellvorhaben zur Heilkundeübertragung eingesetzt werden könnten.“ Juliane Pohl, BVMed-Expertin und Moderatorin des BVMed-Forums, bestätigt: „Wir sehen die Notwendigkeit einer interdisziplinären Versorgung und sind auch auf dem richtigen Weg, dazu ist jedoch ein Zusammenwirken der verschiedenen Professionen zwingend erforderlich. Das sollte möglichst bald umgesetzt werden.“

Durch das Pflegeberufegesetz wurde 2017 ein Rahmen für die Reform der Pflege geschaffen, „um die Qualität und Attraktivität der pflegerischen Ausbildung zu stärken“, erklärt Annemarie Fajardo. Das sei dringend notwendig gewesen, denn „im internationalen Vergleich liegen wir 150 Jahre zurück“, so Fajardo. Neben dem neuen Ausbildungsmodell und einem Pflegestudium wurden Ausbildungsmodule „zur Vermittlung von erweiterten Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten in der beruflichen und hochschulischen Pflegeausbildung genehmigt, die über die Inhalte der neuen Pflegeausbildung hinausgehen“.

„Mit einer solchen Heilkundeübertragung soll die Interdisziplinarität bei der Versorgung unterstützt werden. Pflege besitzt Qualifikation und wird sich in der Zukunft mehr ‚zutrauen‘ in Bereichen wie z.B. der Wundversorgung tätig zu werden.“

Annemarie Fajardo, Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats

Aktuell ginge es vorerst um die Vermittlung der Kompetenzen. „Ob sie dann zu einer Tätigkeit im praktischen Sinne werden soll und kann, das ist eine weitere Frage, die noch nicht geklärt ist“, so Fajardo. Der dafür notwendige Rahmen sowie ausgefeilte Konzepte fehlen noch, die künftige Rollen klarer definieren. Das bestätigte auch Sonja Laag.

Wundversorgung: Mehrwert durch Interdisziplinarität

Fajardo sieht großes Potenzial in der interdisziplinären Wundversorgung. So sei insbesondere bei komplexen Fällen eine gemeinsame Betrachtung durch Pflegende und Ärzteschaft unverzichtbar und würde zu einem besseren Ergebnis führen. Dabei könnten qualifizierte Pflegekräfte auch eine rehabilitative oder palliative Rolle einnehmen.

Wie effektiv die enge Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegenden sein kann, beschreibt Prof. Martin Storck: „Wir leben es bei uns so, dass wir immer zu zweit, also ein geschulter Wundmanager und ein Arzt, zum Patienten gehen und gemeinsam die Diagnose und Behandlung besprechen.“
Auch Inga Hoffmann-Tischner, Leiterin des pflegerischen Wundzentrums Aachen und Pflegedienstes in Köln, berichtete von ihren Erfahrungen. Sie unterstützt Ärzte mit Tipps und Therapieempfehlungen. „Das zeigt: Die Pflege ist wundbegeistert und traut sich das zu.“

Insbesondere in der Wundversorgung, in der der Versorgungsansatz der spezialisierten Wundversorgung geschaffen wurde, existieren bereits Wundexperten unter den Pflegenden – oft ohne Primärstudium, berichtet Hofmann-Tischner. Es müssten daher Konzepte gefunden werden, diese bestehenden erfahrenen und auch qualifizierten Fachkräfte in die neuen Versorgungskonzepte zu integrieren.

Modellvorhaben als Chance für die Wundversorgung

„In der Diskussion zu den Modellvorhaben nach § 64d SGB V zeichnet sich ab, dass die Wunde ein absolut präferiertes Thema ist, weil dort die fachpflegerische Kompetenz gesehen wird“, so Laag. Zum aktuellen Stand der Modellvorhaben berichtet sie: „Der Rahmen zwischen Krankenkassen und Pflegeorganisationen ist abgeschlossen. Nun müssen die Ministerien klären, wie die Pflegefachkräfte ausgebildet werden. Bei der Wundversorgung haben wir den Vorteil, dass wir bereits ausgebildete Pflegekräfte mit besonderer fachpflegerischer Kompetenz haben. Es müssten allein Wege gefunden werden, diese anzuerkennen und in die Versorgungsmodelle einzubinden.“ Das sei eine sehr gute Startposition. Laag sieht viel Potenzial im Modellvorhaben, um die Basis für eine „Tandem-Versorgung“ mit Ärzten und Pflege zu schaffen.

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